Weltkrieg, Zweiter: Kollaboration und Widerstand unter deutscher Herrschaft

Weltkrieg, Zweiter: Kollaboration und Widerstand unter deutscher Herrschaft
Weltkrieg, Zweiter: Kollaboration und Widerstand unter deutscher Herrschaft
 
Zwischen 1939 und 1945 herrschte das nationalsozialistische Deutschland über weite Teile Europas. Zwangsläufig sind das Kriegserleben und die Kriegserfahrung zahlreicher Europäer dieser Generation weniger geprägt von den militärischen Ereignissen vor Beginn der Besetzung oder bei der Befreiung ihres Landes als von der Besatzungszeit und ihren Umständen selbst: von Unsicherheit und Rechtlosigkeit, von Erlassen und Verordnungen, von Zwangsmaßnahmen und Willkürhandlungen und von ständig härter und unerträglicher werdenden Lebensbedingungen. Sofern diese Europäer aber zu jenen Millionen Menschen zählten, denen Hitler und sein Regime jedes Recht auf Leben und Existenz abgesprochen hatten, und sofern sie die Verfolgungen und Deportationen überlebten, so wird sich ihnen die Zeit der deutschen Besatzung ihres Landes erst recht als eine schreckliche Erfahrung darstellen.
 
 Deutsche Herrschaft in den besetzten Gebieten
 
Die deutsche Herrschaft in Europa während des Zweiten Weltkriegs umfasste eine Vielzahl von Unterwerfungs- und Unterdrückungsmechanismen, sie spiegelte sich in unterschiedlichen Formen der Abhängigkeit und Kontrolle. Die jeweiligen Besatzungs- und Verwaltungstypen wiederum waren bestimmt durch politische, militärische, ökonomische oder ideologische Faktoren.
 
Die von der deutschen Führung zunächst favorisierte Form der Besatzung war die direkte Annexion. Nach der Niederlage Polens im September 1939 wurde ein Viertel dieses Landes von Deutschland direkt de iure annektiert: Westpreußen wurde als Reichsgau Danzig-Westpreußen, Posen als Reichsgau Wartheland eingegliedert. Ostoberschlesien, das »zweite Ruhrgebiet«, kam zusammen mit dem früheren tschechoslowakischen Teschen samt dem Olsagebiet zur Provinz Schlesien. Im Westen annektierte das Reich die ostbelgischen Gebiete Eupen und Malmedy sowie das Gebiet von Moresnet. Daneben gab es eine Anzahl nichtdeutscher Territorien in Europa, die zwar nicht formell, jedoch de facto annektiert und, den »Chefs der Zivilverwaltung« unterstellt, von Anfang an oder zunehmend als Reichsgebiete behandelt wurden: das Großherzogtum Luxemburg, Elsass-Lothringen, die jugoslawischen (slowenischen) Gebiete Südkärnten und Oberkrain und der polnische Bezirk Białystok. In einigen okkupierten Territorien und Ländern Europas, für die Hitler und seine unmittelbaren Unterführer ein ausgesprochenes politisches Interesse hegten, richtete das Deutsche Reich Zivilverwaltungen ein: In Dänemark, dessen Regierung bis auf weiteres im Amt belassen wurde, amtierte zunächst ein Diplomat als Reichsbevollmächtigter; ab August 1943 erhielt das Land eine De-facto-Militärbesatzung. In Norwegen und den Niederlanden, die als »rein germanische« Länder angesehen wurden, ließ Hitler Reichskommissariate einrichten, die sich vor allem auf die belassenen einheimischen Verwaltungen stützen sollten. Das Generalgouvernement im besetzten Polen tat sich durch eine ebenso straffe wie unmenschliche Herrschaftsausübung über die polnische, vor allem die jüdische Bevölkerung hervor. Im Protektorat Böhmen und Mähren lag die wahre Macht innerhalb der deutschen Verwaltung in den Händen der SS-Führer und Stellvertretenden Reichsprotektoren. Darüber hinaus gab es die Reichskommissariate Ostland, das Estland, Lettland und Litauen sowie einen Teil Weißrusslands umfasste, und Ukraine.
 
Vor allem aufgrund militärisch-strategischer Erwägungen verblieb eine Anzahl besetzter Territorien in der Zuständigkeit der Wehrmachtsführung, das heißt, diese Gebiete unterstanden direkt den jeweiligen deutschen Militärbefehlshabern: Belgien (einschließlich der nordfranzösischen Départements Nord und Pas-de-Calais), Nordfrankreich, die britischen Kanalinseln, der größte Teil Serbiens sowie Küstenstreifen in Nordgriechenland und Inseln. Außerdem existierten eine Anzahl prodeutscher oder mit Deutschland kollaborierender nationaler Regierungen: Slowakei, Frankreich (Vichy), Ungarn, Rumänien, Bulgarien. Die faschistische Republik von Salò unter Mussolini in Oberitalien ist ein Sonderfall der Kollaboration.
 
 Ausbeutung der Ressourcen
 
Der Begriff der »Neuordnung« oder »Neuen Ordnung« entstammt einer im Frühsommer 1940 in Deutschland geführten wirtschaftspolitischen Debatte über die Errichtung eines »Großwirtschaftsraums« in Europa. Bereits kurz nach der Kapitulation Frankreichs am 22. Juni 1940 und nach dem Abschluss der Besetzung Nord- und Westeuropas forderte Hermann Göring in seiner Eigenschaft als Beauftragter für den Vierjahresplan die deutschen Wirtschaftsverbände auf, konkrete Vorschläge für »den Einbau der in das Reich eingegliederten und der besetzten Gebiete in die Großdeutsche Wirtschaft« zu erarbeiten. Auch die staatlichen Institutionen erhielten entsprechende Vorgaben. Die von den Unternehmen und Wirtschaftsverbänden in der Reichsgruppe Industrie erarbeiteten »Neuordnungspläne« und »Friedensplanungen« enthielten vor allem massive Forderungen gegenüber den Industrien der von Deutschland eroberten Länder. Die programmatischen Europakonzeptionen der staatlichen Wirtschaftsbehörden erwiesen sich trotz aller verbaler Schönfärberei in ihrem Kern als Zeugnisse sehr konkreter imperialistischer Machtausübung.
 
Statt des angekündigten autarken »Großwirtschaftsraums« entstand ein dirigistisches System zunehmender ökonomischer Abhängigkeit und Kontrolle. Die deutsche Wirtschaftspolitik gegenüber den besetzten Ländern lässt sich durchaus als klassische Ausbeutung und ebenso häufig als brutale Ausnutzung einer Notsituation charakterisieren. Dies gilt für Westeuropa ebenso wie für die neuen »Ostkolonien« des Reichs, wenn auch die Formen der Ausplünderung aufgrund der Anwendung rassenideologischer Gesichtspunkte jeweils unterschiedlich war. In nahezu allen besetzten Ländern erhoben die deutschen Verwaltungen einen gezielten Anspruch auf die angelegten Rohstoffvorräte. Dieser ersten Plünderungsphase folgten in der Regel mehr oder weniger verbindliche Abmachungen zwischen den deutschen Kontrollbehörden (Rüstungsinspektionen, Zentralauftragsstellen) und der einheimischen Industrie oder den nationalen Wirtschaftsverwaltungen, die einen beständigen Abfluss von Rohstoffen und Gütern nach Deutschland garantierten.
 
Eine in allen besetzten Ländern vorhandene wichtige Ressource war die menschliche Arbeitskraft. Innerhalb Deutschlands führten der stetig steigende Rekrutierungsbedarf der Wehrmacht und Hitlers vorwiegend ideologisch begründete kategorische Weigerung, den Anteil der weiblichen Arbeitskräfte in der Industrie signifikant zu erhöhen, zu einem erheblichen Arbeitskräftemangel. Den einzigen Ausweg schien die zwangsweise Beschaffung von möglichst vielen ausländischen Arbeitskräften zu bieten. Der dem Rüstungsminister Albert Speer unmittelbar untergebene Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, Gauleiter Fritz Sauckel, erfüllte diese Aufgabe mit schrankenloser Brutalität und ebensolcher Effizienz.
 
Die Masse der von Sauckel zwangsrekrutierten Arbeiter kam aus Osteuropa, vor allem aus den eroberten Gebieten der Sowjetunion. Ursprünglich hatte es Hitler entschieden abgelehnt, die beim Vormarsch der Wehrmacht gemachten, als »Untermenschen« diffamierten sowjetischen Kriegsgefangenen zur Arbeit im Reich heranzuziehen. Mehr als die Hälfte der bis Ende 1943 in deutsche Hände gefallenen 3,35 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, die man in völlig überfüllten Lagern im Hinterland der deutschen Front zumeist ihrem Schicksal überlassen hatte, starb an Erschöpfung, völliger Unterernährung und Infektionskrankheiten. Das schließlich durch den Kriegsverlauf motivierte Umdenken der deutschen Führung und die vor allem von den Unternehmen des deutschen Bergbaus geforderte Beschäftigung der sowjetischen Kriegsgefangenen verbesserte die Lage nur relativ weniger Gefangenen: Bis März 1942 wurden etwa 160000 Kriegsgefangene zum Arbeitseinsatz ins Reich gebracht. Darüber hinaus griffen die deutschen Behörden auf den Einsatz sowjetischer Zivilarbeiter zurück, von denen in den folgenden zwei Jahren rund 2,5 Millionen Frauen und Männer nach Deutschland deportiert wurden. Nur vergleichsweise wenige sowjetische Kriegsgefangene traten der im Herbst 1944 unter der Schirmherrschaft Heinrich Himmlers gebildeten russischen Befreiungsarmee unter General Andrej Andrejewitsch Wlassow bei. Die meisten von ihnen, sofern sie den Krieg überlebten, wurden nach ihrer erzwungenen Repatriierung ein Opfer der Rache Stalins.
 
 Germanisierung Osteuropas
 
Die zentrale Absicht der deutschen Führung in Bezug auf Osteuropa war die von Hitler in zahllosen Erklärungen geforderte Gewinnung von »Lebensraum«, angeblich dringend benötigtes Land zur Ansiedlung und zur Ausbeutung der Bodenschätze und anderer Ressourcen. Die Hauptverantwortung für die Ostsiedlung und Germanisierung der eroberten Gebiete im Osten lag beim Reichsführer SS Heinrich Himmler als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums. Mit dieser zunehmend nach Osten ausgreifenden Institution verband sich ein äußerst personalintensiver, mit Weisungsbefugnissen großzügig ausgestatteter Apparat, der fortan Rassen-, Bevölkerungs- und Siedlungspolitik im großen Stil betrieb. Himmlers erste Aufgabe war die zwangsweise, häufig von Massenerschießungen begleitete Verbringung von etwa 365000 Polen und etwa 500000 Juden aus den annektierten Gauen Wartheland und Danzig-Westpreußen in das künstlich geschaffene Gebilde des Generalgouvernements. Mit der Konzentration der Juden in großstädtischen Gettos vollzog sich bereits der erste Akt ihrer seit dem Frühsommer 1942 systematisch betriebenen Deportation in die Vernichtungslager. In den eingegliederten Ostgebieten, also dem westlichen Teil Polens, wurden anschließend etwa 370000 Reichsdeutsche und 350000 Volksdeutsche angesiedelt, die überwiegend aus dem Baltikum, aus Bessarabien und der Bukowina stammten. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 und der Errichtung der Reichskommissariate Ostland und Ukraine eröffneten sich weitere Möglichkeiten der aggressiven Siedlungspolitik. Ein von der SS-Führung 1941/42 projektierter Generalplan Ost sah dabei die millionenfache Aus- und Umsiedlung der Bevölkerung vor.
 
Hinter den pangermanischen Ideen und propagierten ethnisch-rassistischen Zielen standen aber auch sehr konkrete Maßnahmen der Besatzungsmacht, die in der Vertreibung, Deportation und Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen gipfelten. Bereits innerhalb der ersten neun Monate des Russlandfeldzugs ermordeten die vier unmittelbar hinter der Front operierenden Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD (Sicherheitsdienst) systematisch mehr als eine Million Juden, »Zigeuner« und andere »unerwünschte Elemente«. Dies geschah nicht selten mit der Unterstützung der für diese Gebiete verantwortlichen Wehrmacht. Die anfänglichen Sympathien mancher Einwohner der Ukraine oder auch anderer Gebiete der westlichen Sowjetunion für die neuen Herren verflüchtigten sich angesichts des Auftretens der deutschen »Herrenmenschen« und ihrer Ausbeutungspolitik sehr rasch. Der neu eroberte »Lebensraum« in Osteuropa geriet somit zum Experimentierfeld menschenverachtender nationalsozialistischer Planer und Praktiker.
 
 Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht
 
Unter dem Eindruck der militärischen Anfangserfolge der deutschen Wehrmacht wuchs in den meisten europäischen Ländern ungeachtet ihrer offenkundigen Instrumentalisierung seitens der deutschen Verwaltungen sehr rasch die Bereitschaft eines großen Teils der jeweiligen Bevölkerung, sich mit den Siegern, nicht zuletzt im Interesse von äußerer Ruhe und Sicherheit, auf der Basis des Status quo zu arrangieren. Kennzeichnend für die Kollaboration war eine durchgehende Ambivalenz der Argumente und Handlungsweisen. Dies betrifft besonders die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der deutschen Kriegswirtschaft und den meisten privaten wie staatlichen Unternehmen in den besetzten Ländern, insbesondere in West- und Nordeuropa. Für die ökonomische Kollaboration mit Deutschland sprachen zunächst sowohl unternehmerische als auch volkswirtschaftliche Gründe: das Interesse, die Betriebe rentabel zu halten, das investierte Kapital vor dem Zugriff der Besatzungsmacht zu sichern und eine Vereinnahmung der einheimischen Industrie durch deutsche Konzerne zu verhindern. Einige west- und nordeuropäische Unternehmer verstanden es, sich die besonderen Umstände der Besatzungssituation zunutze zu machen. So erfreute sich etwa die niederländische und flämische Bauwirtschaft unter anderem durch ihre Mitwirkung beim Ausbau des Atlantikwalls und von deutschen Luftwaffenstützpunkten zeitweilig eines enormen wirtschaftlichen Aufschwungs.
 
Die Zusammenarbeit einheimischer Faschisten mit der deutschen Besatzungsmacht wird als der klassische Fall von politischer Kollaboration während des Zweiten Weltkriegs angesehen. Nirgends wird die Bandbreite kollaborierenden Verhaltens deutlicher, nirgends zeigt sich eindrucksvoller, dass Chancen wie Grenzen der Kollaboration stets an die handfesten Interessen der Besatzungsmacht gekoppelt waren. Hitler und seine Satrapen in den besetzten Ländern sahen die faschistischen Bewegungen und deren Führer im Allgemeinen lediglich als nützliche Werkzeuge an, mit deren Hilfe die Indienststellung der jeweiligen wirtschaftlichen und administrativen Ressourcen für die Besatzungsmacht organisiert werden sollte. Vidkun Quisling in Norwegen, Fritz Clausen in Dänemark, Anton Adrian Mussert in den Niederlanden, Philippe Pétain, Jacques Doriot und Marcel Déat in Frankreich, die Führer der Eisernen Garde in Rumänien oder der Pfeilkreuzler in Ungarn, sie alle mussten erfahren, dass die Politik des Dritten Reichs nur einem einzigen Ziel diente: der Errichtung und Aufrechterhaltung der deutschen Hegemonie in Europa. Von den meisten faschistischen Gruppen und Organisationen wurde die während des Kriegs mit der Besatzungsmacht praktizierte Kollaboration hingegen als das primäre Ziel angesehen, sei es als dauerhafte Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Deutschland oder gar als ein späteres Aufgehen in einem von Himmlers SS beherrschten »Großgermanischen Reich«. Der Unterschied zwischen nationalsozialistischer Herrschaft und faschistischer Kollaboration war angesichts der ideologischen Nähe häufig kaum mehr zu unterscheiden — auch nicht bei den während der Besatzung begangenen Verbrechen.
 
Nationalistische und (gebiets) revisionistische Beweggründe beeinflussten vor allem die Politik der mit Deutschland verbündeten, faktisch jedoch mehr oder weniger abhängigen Staaten in Mittel- und Südosteuropa, Ungarn, Rumänien und Bulgarien sowie der Slowakei, die sich schließlich (mit Ausnahme Bulgariens) mit eigenen Truppen an Hitlers Feldzug gegen die Sowjetunion beteiligten. Mit dem Näherrücken der Roten Armee 1944 an die Grenzen dieser Staaten wurden deren Bevölkerungen voll in die Endphase des Krieges hineingezogen. Mit Ausnahme einiger radikalfaschistischer Führer und ihrer überzeugtesten Anhänger schien kaum noch jemand bereit, auf der Seite Hitlers und seines untergehenden Reichs zu stehen. Eine Ausnahme bildeten jene Soldaten, die als »germanische Freiwillige« aus West- und Nordeuropa oder als letztes Aufgebot einer russischen Befreiungsarmee, oftmals in gesonderten Verbänden, auch jetzt noch auf deutscher Seite kämpften.
 
Mit dem phasenweisen Zusammenbruch der deutschen Herrschaft in Europa 1944/45 fand auch die Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Deutschland in den besetzten Ländern ihr sukzessives Ende. Es folgten Massenarrestierungen und öffentliche politische »Säuberungen«, in die oftmals Hunderttausende — und nicht immer nur die Schuldigen — einbezogen wurden. Tausende, vor allem in Frankreich und Osteuropa, fanden bei »wilden Säuberungen« den Tod, andere — unter ihnen mit wenigen Ausnahmen auch die meisten prominenten Kollaborateure — mussten sich vor eigens eingerichteten Sondergerichten oder Volkstribunalen verantworten. Art und Ausmaß dieser »Säuberungen« in Europa waren historisch beispiellos und entsprachen somit der einzigartigen verbrecherischen Ausprägung von Nationalsozialismus und Faschismus.
 
 Widerstand im besetzten Europa
 
Angesichts des von Deutschland von Beginn an in Osteuropa geführten Vernichtungskriegs und des Vorgehens der nationalsozialistischen Verwaltungen gegen die polnischen und sowjetischen Bevölkerungen konnte das Ausmaß des dort praktizierten aktiven Widerstands hinter der deutschen Front kaum überraschen. Vor allem den in den unübersichtlichen Waldgebieten Russlands zunehmend seit dem Sommer 1942 operierenden, teilweise von Moskau aus straff geführten sowjetischen Partisanenverbänden gelang es, mitunter erhebliche militärische Kräfte der Wehrmacht zu binden. Ihre operative Wirkung stellten die Partisanen etwa bei der sowjetischen Großoffensive im Juni 1944 unter Beweis, als es ihnen durch mehr als 10000 Sprengungen gelang, das Eisenbahnnetz hinter der deutschen Heeresgruppe Mitte zu zerstören. Der Partisanenkrieg im Osten lieferte den deutschen Militärs aber auch jenes Argument, mit dem sie ihr menschenverachtendes Vorgehen gegen die sowjetische Zivilbevölkerung zu legitimieren suchten.
 
In Polen hatte sich bereits kurz nach der deutschen und sowjetischen Besetzung des Landes 1939 eine eher konservativ-nationale Untergrundorganisation, die »Heimatarmee«, gebildet, die in enger Verbindung zur polnischen Exilregierung in London stand. In Rivalität zu ihr stand die zahlenmäßig kleinere geheime Volksarmee des kommunistischen Untergrunds. Verglichen mit diesen stark politisch ausgerichteten Organisationen verfügten die wenigen und schlecht bewaffneten jüdischen Widerstandskämpfer kaum über einen Rückhalt in der polnischen Bevölkerung. Trotzdem widersetzten sie sich mit dem Mut der Verzweiflung im April 1943 der Räumung des Warschauer Gettos, indem sie Wehrmacht und SS in einen fast vierwöchigen Häuserkampf verwickelten. Der Kampf gegen einen ungleich stärkeren Gegner, der mit der Deportation auch der restlichen 6000 Juden in die deutschen Vernichtungslager endete, wird zu Recht als eine heroische Tat sondergleichen bewertet. Zu einer Tragödie großen Ausmaßes entwickelte sich auch der militärisch unzureichend vorbereitete Warschauer Aufstand der Heimatarmee unter General Tadeusz Bór-Komorowski Anfang August 1944. Inzwischen gibt es kaum Zweifel daran, dass Stalin den sowjetischen Vormarsch auf Warschau kalkuliert stoppte, um Hitler eine Gelegenheit zu geben, den konservativen polnischen Widerstand zu vernichten. Der Aufstand endete mit der fast völligen Vernichtung der Heimatarmee. Hitlers Befehl, Warschau dem Erdboden gleichzumachen, wurde mit brutaler Gründlichkeit ausgeführt.
 
Organisierter und bewaffneter Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht lässt sich in nahezu allen besetzten Ländern feststellen, doch nirgends, mit der Ausnahme der besetzten sowjetischen Gebiete, erreichte der Kampf gegen die Deutschen eine derartige Stärke wie auf dem Balkan. In den Gebirgen Serbiens und Montenegros operierten schließlich zwei, noch dazu miteinander verfeindete Partisanenarmeen gegen die deutschen und italienischen Invasoren: die nationalserbischen Tschetniks unter Draža (eigentlich Dragoljub) Mihailović und die kommunistische Partisanenbewegung unter dem Kroaten Josip Broz, genannt Tito. Mit seiner auf über 300 000 Mann angewachsenen Partisanenarmee, die inzwischen weite Teile des Landes kontrollierte, war Titos Bewegung spätestens Mitte 1944 zu einer festen militärischen und auch politischen Größe im Kalkül der Alliierten geworden. Außer in Jugoslawien bestanden ausgesprochene Partisanenbewegungen in Griechenland, der Slowakei und schließlich nach 1944 innerhalb der italienischen Resistenza in Norditalien.
 
Je verlustreicher und ungünstiger sich der Krieg für Deutschland entwickelte, umso stärker traten bewaffnete Organisationen auch in West- und Nordeuropa auf den Plan. Allerdings stellten derartige Gruppen zunächst eher eine Ausnahme dar. Lediglich die im Dickicht des bergigen Zentralmassivs kämpfenden und nach der dortigen Vegetation benannten französischen Widerstandskämpfer (maquisards) waren imstande, über einen größeren Zeitraum hinweg gezielte Anschläge und Sabotageaktionen gegen die deutsche Besatzungsmacht zu unternehmen. Ansonsten beschränkte sich der Widerstand gegen die deutschen Besatzungen in Westeuropa im Allgemeinen auf unbewaffnete Aktionen wie die Übermittlung von Nachrichten an westliche Agenten, die Hilfe für abgeschossene alliierte Flieger und entflohene Kriegsgefangene oder die Unterstützung jüdischer und anderer Opfer des Besatzungsregimes. Da die deutschen Behörden mit großer Brutalität, oft unter Einbeziehung der übrigen Familie — daher sprach man von »Sippenhaft« — gegen Oppositionelle und Widerständler vorzugehen pflegten, ist die anfängliche Weigerung der meisten Menschen, sich an derartigen Aktionen zu beteiligen, nur zu begreiflich. Mit der Gewissheit eines alliierten Sieges wuchs die Bereitschaft zum Widerstand. Ebenso übten die nach 1942/43 zunehmende wirtschaftliche und soziale Verelendung als Folge der Besatzungssituation einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Widerstandsverhalten aus. Zwar blieb der aktive Widerstand in seinen vielfältigen Formen stets Ausdruck einer Minderheit in der Bevölkerung, aber der Widerstand bewies durch seine bloße Existenz, durch Flugblätter und illegale Zeitungen, dass es fortan eine wirkliche Alternative zur Passivität oder zur Kollaboration mit den Deutschen gab.
 
Die Aktionen der Widerstandsgruppen und Untergrundorganisationen wurden zunehmend wirkungsvoller und begannen die deutschen, aber auch die kollaborierenden Verwaltungen mitunter empfindlich zu treffen. Es kam zu vereinzelten Arbeitsniederlegungen und schließlich sogar zu zeitweiligen Massenstreiks, so in den Niederlanden im Mai 1943. Als bevorzugte Zielscheibe für Attentate des Widerstands erwiesen sich die Repräsentanten und Führer der einheimischen faschistischen Bewegungen und Parteien. Im Gegenzug reagierten Polizei- und Sicherheitsdienste, aber auch die Wehrmacht, mit brutalen Vergeltungsmaßnahmen, die den Terror, oft auch gegen Unbeteiligte und Unschuldige, zum obersten Gebot erhoben; dazu gehörten summarische Geiselerschießungen und die Zerstörungen ganzer Ortschaften. Die an zahlreichen Orten im besetzten Europa von Deutschen begangenen Untaten — stellvertretend seien genannt die Namen Lidice in Tschechien, Oradour-sur-Glane in Frankreich, Putten in den Niederlanden und Marzabotto in Italien — haben sich tief in das kollektive Gedächtnis der jeweiligen Nation eingegraben.
 
Der Widerstand in den besetzten Ländern Europas hat die große Wende im Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland nicht herbeizuführen vermocht. Dazu war er militärisch zu schwach und politisch zu zersplittert. Die politischen und gesellschaftlichen Perspektiven der beteiligten Widerstandsgruppen reichten von konservativen und monarchischen Staatsvorstellungen bis hin zu den Ideen von sozialistischen und kommunistischen Nachkriegsordnungen. Befreit wurden die europäischen Staaten und ihre Bevölkerungen vor allem durch die siegreichen Armeen der Alliierten und durch die Opfer ihrer Soldaten. Der Widerstand gab vielen Menschen Würde und Selbstachtung zurück, die sie unter deutscher Besatzung verloren hatten, er trug entscheidend zur Legitimation der demokratischen Nachkriegsregierungen in Europa bei.
 
Prof. Dr. Gerhard Hirschfeld
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Weltkrieg, Zweiter: Leben im Krieg
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Weltkrieg, Zweiter: Totaler Krieg, die zweite Phase des Kriegs in Europa
 
 
Aly, Götz: »Endlösung«. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden. Durchgesehene Taschenbuchausgabe Frankfurt am Main 1998.
 Brandes, Detlef: Die Tschechen unter deutschem Protektorat, herausgegeben vom Vorstand des Collegium Carolinum, Forschungsstelle für die böhmischen Länder. 2 Bände. München u. a. 1969-75.
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 Eichholtz, Dietrich: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945, 3 Bände. Berlin 1-31984-96.
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 Herbert, Ulrich: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des »Ausländer-Einsatzes« in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Berlin u. a. 21986.
 Hirschfeld, Gerhard: Fremdherrschaft und Kollaboration. Die Niederlande unter deutscher Besatzung 1940-1945. Stuttgart 1984.
 
Kollaboration in Frankreich. Politik, Wirtschaft und Kultur während der nationalsozialistischen Besatzung 1940-1944, herausgegeben von Gerhard Hirschfeld u. a. Aus dem Englischen. Frankfurt am Main 1991.
 Madajczyk, Czeslaw: Die Besatzungssysteme der Achsenmächte, in: Studia historiae oeconomia, Band 14. Posen 1980.
 
Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, herausgegeben von Klaus-Dietmar Henke und Hans Woller. München 1991.
 
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 Rich, Norman: Hitler's war aims. 2 Bände. New York 1973-74.
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Universal-Lexikon. 2012.

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